Vom 20 - 21.09.2022 findet das Seminar „Nachweis- und Zertifizierungsverfahren für Erzeugungsanlagen an elektrischen Verteilungsnetzen" in Aachen statt.
Zum anstehenden Seminar hat Andrea Schröder, Leiterin der Akademie, den Seminarleiter, Herrn Schowe-von der Brelie interviewt
Andrea Schröder: Aktuell gibt es Verzögerungen bei der Zertifizierung kleinerer Erzeugungsanlagen, die dazu führen, dass zahlreiche DEA nicht ins Netz integriert werden können. Wie begegnet die FGH dieser Herausforderung?
Bernhard Schowe-von der Brelie: Die FGH hat das Thema gemeinsam mit anderen Zertifizierungsstellen und den Fachverbänden bereits im vergangenen Jahr aufgegriffen und eine konstruktive Diskussion und Lösungsfindung gesucht. Die 2019 neu eingeführte Zertifizierungspflicht für Erzeugungsanlagen bis 1 MW, die sogenannte Typ B-Zertifizierung, hat insbesondere wegen des erfreulich starken Zubaus in diesem Leistungssegment im PV-Bereich in der Tat im Laufe des letzten Jahres zu Engpässen in den Zertifizierungsstellen geführt. Hier haben aber alle Zertifizierungsstellen, auch die FGH, mittlerweile deutlich Personalkapazitäten aufgebaut, wie eine Abfrage im Verband der akkreditierten Zertifizierungsgesellschaften (VAZ), den ich im Vorstand begleiten darf, gezeigt hat. Ein anderer Hebel liegt in der Qualifizierung der Anschlussnehmer: in diesem Leistungssegment sind häufig Projektierer tätig, die noch wenig Erfahrungen mit den neuen VDE-Regelwerken sowie den notwendigen Nachweisführungen haben. Entsprechend aufwändig gestaltet sich die Zusammenarbeit in der Durchführung der Zertifizierungsprozesse mit diesen Kunden. Gemeinsam mit anderen Zertifizierungsstellen bietet die FGH daher über die FGW e.V. eine Webinar-Reihe an, um hier die Anschlussnehmer, aber auch kleinere Netzbetreiber mit den Anforderungen und den Prozessen vertraut zu machen. Mittlerweile sehen wir, dass sich der Zertifikatsstau schrittweise auflöst. Darüber hinaus werden innerhalb der FGW derzeit die Evaluierungsschritte in der Typ B-Zertifizierung noch einmal auf mögliche Vereinfachungen überprüft. Schließlich sind FGH und VAZ auch früh mit Politik und Behörden in Kontakt getreten, um Lösungen für eine Beschleunigung der Verfahren zu entwickeln.
Andrea Schröder: Aus der Politik hat man in diesem Zusammenhang auch Stimmen gehört, die eine Erhöhung der Schwelle für das Zertifikat B vorschlagen. Was würde das aus Ihrer Sicht für die Integration der DEA und einen sicheren Netzbetrieb bedeuten?
Bernhard Schowe-von der Brelie: Ja, das war ein Vorschlag, der – u.a. von den Fachverbänden der Solar- und Biogasbranche getrieben – eine vermeintlich einfache Lösung für die Verzögerungen dargestellt hätte, indem man die untere Schwelle, ab der die Typ B-Zertifizierungspflicht greift, nach oben setzt. Derzeit liegt diese bei 135 kW. Manche Forderungen gingen bis 1 MW, was eine faktische Aussetzung des Typ B-Verfahrens bedeutet hätte. Hierbei sind allerdings zwei Dinge zu beachten: zum einen ist die untere Schwelle zur Zertifizierungspflicht direkt mit einer Festlegung von Leistungsschwellen in Deutschland im Zuge der Umsetzung des Europäischen Network Codes RfG verknüpft. Eine Änderung dieser Schwelle hätte weitreichende Konsequenzen für das komplette Regelwerk des VDE für Erzeugungsanlagen an der Nieder- und Mittelspannung. Zum anderen: die Verpflichtung zu einer normkonformen Inbetriebnahme – und Betrieb – der Anlagen würde nach europäischer Vorgabe ja dennoch weiterhin bestehen bleiben. In diesem Fall wären die Netzbetreiber in der Pflicht, die entsprechenden Nachweise sicherzustellen, was bei der hohen Anzahl gerade kleiner Verteilnetzbetreiber in Deutschland einen immens hohen Aufwand für diese und voraussichtlich weitere Verzögerungen nach sich ziehen würde. Schließlich haben die Zertifizierungsstellen insbesondere bei den Anlagen in diesem Leistungsbereich – stärker als bei größeren Anlagen – deutliche Mängel in den eingereichten Planungsunterlagen wie auch den tatsächlich errichteten Anlagen festgestellt. Hier würden also ohne die Typ B-Zertifikate vielfach falsch oder unzureichend ausgelegte bzw. parametrierte Erzeugungsanlagen in Betrieb genommen. Mit Blick auf die hohe Anzahl dieser wenn auch kleinen Anlagen – und auf den erwarteten und politisch gewollten weiteren starken Ausbau – würde dies ein schwer zu verantwortendes Risiko für den sicheren und zuverlässigen Betrieb unserer elektrischen Energieversorgung darstellen. Aus diesem Grund haben sich nicht zuletzt auch die Netzbetreiber klar gegen eine Erhöhung der Schwelle ausgesprochen.
Die Zertifizierungsstellen haben demgegenüber über den VAZ einen alternativen Vorschlag eingebracht, dessen Grundgedanke sich erfreulicherweise in der von der Bundesregierung in diesem Sommer in einem zügigen Verfahren verabschiedeten Revision der NELEV als zuständige Verordnung wiederfindet. Im Mittelpunkt steht dabei eine bedingte Zertifizierung unter Auflagen, so dass auch bei noch unvollständiger Datenlage bzw. kleineren Planungsmängeln eine Inbetriebnahme der Erzeugungsanlagen möglich ist, sofern ein Set von Mindestanforderungen eingehalten wird. Der vollständige Nachweis ist dann innerhalb von 18 Monaten – mit Sanktionsmöglichkeiten des Netzbetreibers – nachzureichen. Wir sind glücklich, damit einen Weg gefunden zu haben, der weitere Verzögerungen in der Inbetriebnahme der wichtigen erneuerbaren Erzeuger verhindert und sogleich eine sorgfältige Konformitätsbewertung sicherstellt. Einzelheiten des Verfahrens werden wir selbstverständlich in unserem Seminar im September vorstellen.
Andrea Schröder: Sind zukünftig weitere Veränderungen in den TAR vorgesehen und – wenn ja – welche?
Bernhard Schowe-von der Brelie: Ja, definitiv. Gerade hat ACER, das europäische Dach der Regulierungsbehörden, mit einem sogenannten Policy Paper die Revision der Europäischen Network Codes eingeleitet. Der Zeitplan sieht nach entsprechenden Stakeholder-Prozessen neue Vorgaben bereits in 2024 vor, was gemessen an der ersten Einführungsperiode in den Jahren 2009 - 2016 sehr schnell ist. In der Folge werden dann die europäischen Mitgliedsstaaten diese neuen Vorgaben in nationale Anschlussregeln umsetzen, in Deutschland entsprechend in revisionierte TAR. ACER hat sich in diesem Policy Paper insbesondere auch an den Resultaten der verschiedenen Expert Groups orientiert, die in den vergangenen Jahren unterhalb des European Stakeholer Committees Grid Connection auch unter starker Beteiligung der FGH zu verschiedenen Themen Vorschläge zur Anpassung, Erweiterung und Präzisierung der Network Codes, insbesondere des Codes für Erzeugungsanlagen RfG, erarbeitet haben. Erweiterungen sind insbesondere für Speichersysteme, Elektromobilität und Verbrauchsanlagen zu erwarten. Darüber hinaus sollen wichtige und in den vergangenen Jahren viel diskutierte Präzisierungen zur Abgrenzung der verschiedenen Anforderungen bei spezifischen Anschlusskonzepten, z.B. dem Anschluss einer kleinen PV-Anlage im Industrienetz, vorgenommen werden. Zu erwarten sind auch erweiterte Vorgaben an die Frequenzregelung, insbesondere an den ROCOF und ggf. erste Rahmensetzungen für netzbildende Umrichter – ein Megathema, das uns in den kommenden Jahren noch verstärkt beschäftigen wird. Ein weiterer wichtiger Punkt bei ACER ist die weitere Harmonisierung der europäischen Netzanschlussregeln. Hier hat ja nicht zuletzt die FGH-Studie für die europäische Kommission 2020 gezeigt, dass diese eben noch nicht gut umgesetzt ist. Viele Mitgliedsstaaten haben bereits erweiterte Anforderungen in Kraft, die so noch nicht im RfG abgedeckt waren, wie z.B. die OVRT-Fähigkeit und eine erweiterte Regelfähigkeit am Netz. Das betrifft insbesondere kleinere Erzeugungsanlagen, für die dann in einem neuen RfG sicherlich auch solche Vorgaben zu finden sein werden. Hierzu ist allerdings speziell in Deutschland voraussichtlich kein hoher Anpassungsbedarf zu erwarten, da hier eben bereits eine Vielzahl solcher erweiterter Regelungen zu finden sind.